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Interview mit Franziska Duarte dos Santos, Projektleiterin des Projekts „Di.Ko. Digitale Konzepte in der Jugendsozialarbeit“ von IN VIA Deutschland

Das Projekt „Di.Ko. Digitale Konzepte in der Jugendsozialarbeit“ von IN VIA Deutschland befasste sich in der ersten Förderperiode damit, wie junge Menschen auf den sich zunehmend digitalisierenden Arbeitsmarkt vorbereitet werden können. Die aktuell laufende Förderperiode hat den Schwerpunkt „Beziehungsgestaltung in digitalen Räumen“. In einem Interview vom Januar 2024 erläutert die Leiterin des Projekts "Di.Ko", Frau Duarte dos Santos, den JAdigital-Projektmitarbeitern Fabian Hemmerich und Frank Eike Zischke die zentralen Ziele des Projekts sowie einzelne bisherige Ergebnisse und Implikationen für die Jugendberufshilfe sowie die Jugendsozialarbeit im Allgemeinen.

Das Interview wurde per Videokonferenz durchgeführt und teils durch anschließenden Austausch per E-Mail ergänzt.

 

FH: Guten Morgen, Frau Duarte dos Santos. Schön, dass Sie sich zu diesem kleinen Interview im Rahmen unseres Projektes „JAdigital. Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe konzeptionell gestalten“ bereit erklärt haben. Bitte stellen Sie uns doch zu Beginn das Projekt „Di.Ko“, in dem Sie arbeiten, etwas näher vor! Was sind die zentralen Ziele und der Hintergrund des Projekts? Wer steht hinter dem Projekt?

FD: Ja, gerne. Das Projekt ist von der Glücksspirale gefördert und wird von IN VIA Deutschland durchgeführt. Der vollständige Titel des Projekts lautet „Di.Ko. Digitale Konzepte in der Jugendsozialarbeit“. Das Projekt stellt eine von vielen verbandlichen Initiativen dar, die zum Ziel haben, dass sich bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten durch die Digitalisierung nicht weiter verschärfen. Begonnen hat es im Dezember 2020. Die erste Förderperiode wurde zwar schon vor der Corona-Pandemie beantragt, aber wir starteten praktisch mitten in der Pandemie. Das Projekt war zunächst auf zwei Jahre angelegt und während dieser Förderperiode bestand der Arbeitsschwerpunkt darin, herauszustellen, wie junge Menschen auf den sich zunehmend digitalisierenden Arbeitsmarkt vorbereitet werden können. Nach zwei Jahren erhielten wir nochmals von der Glücksspirale eine Förderung für die Fortführung des Projekts um ein weiteres Jahr. Im Zuge der ersten zwei Projektjahre hatten wir immer wieder von Fachkräften gehört, dass die Kontaktanbahnung und Gestaltung der Beziehung im virtuellen Raum herausfordernd seien. Daher hat der zweite Förderabschnitt, der im Februar 2023 begonnen hat, den Schwerpunkt „Beziehungsgestaltung in digitalen Räumen“.

FH: Dankeschön! Was würden Sie denn sagen, sind zentrale Erkenntnisse und Ergebnisse aus der bereits vergangenen Projektlaufzeit? Und sind bisher auch schon konkrete Produkte entstanden im Rahmen Ihres Projekts?

FD: Also wir haben versucht, zyklisch zu arbeiten, d.h. immer wieder aufs Neue zu schauen, was es tatsächlich braucht und daraufhin unsere Projektschritte auszurichten. Begonnen haben wir mit einer Art Bedarfsanalyse zu den Kompetenzanforderungen, die der digitalisierte Arbeitsmarkt, aber auch einfach das zunehmend digitalisierte Leben an sich, mit sich bringen. Wir stellten uns also die Frage: Was brauchen junge Menschen, aber auch was brauchen Fachkräfte? Um Aufschluss hierüber zu erhalten, haben wir zunächst einige Interviews mit Unternehmen durchgeführt. Wir haben außerdem unseren Blick auf die Jugendsozialarbeit gerichtet und Gespräche mit Fachkräften oder mit Personen geführt, die in wohlfahrtsstaatlichen Verbänden Digitalisierungsprozesse vorantreiben. Wir waren zum Beispiel im Austausch mit Kolleg*innen des Deutschen Caritasverbandes, der IN VIA Akademie und Kolleginnen der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern e.V. , die uns wichtige Impulse für die Konzeption der Projektmaßnahmen gaben.  Außerdem haben wir eng mit den Kolleg*innen von der BAG KJS, der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e.V., und IN VIA Dortmund e.V., einem der Mitgliedsverbände von IN VIA, zusammengearbeitet. Die BAG KJS und IN VIA Dortmund führten in dieser Zeit ebenfalls Projekte zu Digitalisierung in der Jugendsozialarbeit durch: FAQ.dig.edu und # Young Digitals Dortmund.  

In diesen Gesprächen bekamen wir den Eindruck, dass sich in der Coronazeit einerseits sehr viele positive Dinge ergeben hatten: Es wurden Netzwerke geknüpft, die gut zusammenarbeiten und vorher noch nicht dagewesen sind. Gleichzeitig wurden aber auch negative Erfahrungen gemacht, die manche Unsicherheiten auf Seiten von Fachkräften vielleicht auch nochmals verstärkt haben. Auch infrastrukturelle Defizite wurden sichtbar.

Daher wollten wir Fachkräften die Möglichkeit bieten, sich anonym zu dem Thema zu äußern und haben dafür zusammen mit der BAG KJS eine kleine, nicht-repräsentative Befragung in der Jugendberufshilfe am Beispiel der katholischen Trägerschaft konzipiert und durchgeführt. Mit dieser Befragung wollten wir herausarbeiten, was eigentlich die aktuellen Herausforderungen sind, wie die Fachkräfte ihre Fähigkeiten und Kompetenzen einschätzen und wie sie die Ausstattung ihrer Einrichtungen bewerten. Die Ergebnisse halfen uns, um politische Forderungen oder auch Eckpunkte zu notwendigen Strukturanpassungen auf Einrichtungs- und Trägerebene zu schärfen. Gleichzeitig gaben uns die Erhebungen Hinweise auf die tatsächlichen Bedarfe von Fachkräften, woraufhin wir unsere Projektmaßnahmen abstimmen konnten. Ein Ergebnis dieser Befragung war zum Beispiel, dass sich viel Wissen im Bereich Digitalisierung über „learning by doing“ angeeignet wird, also durch Ausprobieren. Zugleich gaben viele Fachkräfte an, nicht genug Ressourcen zur Verfügung zu haben, um sich umfassend weiterzubilden.

Aus den Befragungsergebnissen und den vorherigen Gesprächen konnten wir somit einige formale wie inhaltliche Schwerpunkte für Weiterbildungsangebote ableiten. Wir konzipierten zum Beispiel eine Weiterbildungsreihe zusammen mit IN VIA Dortmund und der BAG KJS, die sich an Mitarbeitende der Jugendsozialarbeit richtete. Diese Weiterbildungsreihe bestand aus acht Online-Workshops und einem digitalen Abschlussworkshop. Wichtig war uns, dass Teilnehmer*innen sich relativ informell auch unter Kolleg*innen austauschen können und viel Raum bekommen, um Dinge auszuprobieren. Es ging uns darum, einen Raum zu eröffnen, in den man sich niedrigschwellig nachmittags für zwei Stunden weiterbilden konnte.

Zu den einzelnen Terminen der Workshops hatten wir Referent*innen aus ganz verschiedenen Bereichen und unterschiedlichen Fachdisziplinen rund um das Arbeiten im digital gestützten Raum oder das pädagogische Arbeiten im digital gestützten Raum. Es ging dabei zum Beispiel um praktische Dinge wie Datenschutz-Thematiken oder den Einsatz digitaler Tools. In einer Sitzung hat zum Beispiel ein Referent der thyssenkrupp steel AG vorgestellt, inwiefern sich die Ausbildung dort in Hinblick auf die Digitalisierung verändert hat. In einer anderen Sitzung stellten Referent*innen des PIKSL Labors Dortmund ihre Bildungsangebote mit VR-Brillen vor.

Nach Abschluss der Weiterbildungsreihe teilten wir die Erfahrungen, die wir mit der  Fortbildungsreihe gemacht hatten, mit der IN VIA Akademie, um die Fortbildungsreihe zu verstetigen.

Zum Abschluss der ersten Förderperiode von Di.Ko stellten wir eine Materialsammlung mit medienpädagogischen Materialien zusammen. Hierfür haben wir Methoden gesucht, die einerseits mit jungen Menschen im digitalen Raum durchgeführt werden können und andererseits, die vorher von uns definierten Kompetenzanforderungen in den Fokus stellen. In der Digitalisierung geht es ja nicht nur um technisches Know-how, sondern z.B. auch um Quellenkritik, Hate Speech, Souveränität im Umgang mit Medien, das Thema „Netiquette“ und ähnliches.

FH: Und an wen richtet sich diese Materialsammlung vorwiegend?

FD: Die Zielgruppe der Materialien ist sehr breit gefasst und umfasst letztlich alle Fachkräfte, die mit Jugendlichen arbeiten.

Hinweis: Die im Interview erwähnte Materialsammlung mit medienpädagogischen Materialien finden Sie hier!

FH: Danke für Ihre Erläuterungen! Bisher haben Sie ja dargestellt, was in der ersten Förderperiode Ihres Projekts gemacht wurde. Nun würde uns natürlich auch noch interessieren, was in der zweiten Förderperiode Ihres Projekts bisher gemacht wurde und was noch geplant ist!

FD: Im aktuellen Förderabschnitt ist das Thema „Beziehungsgestaltung online“ der Fokus. Zu dem Themenkomplex hat vor allem meine Kollegin Mareike Krebs Interviews mit Kolleg*innen durchgeführt, die im Bereich Online-Beratung tätig sind. Bei der Auswahl der Interviewpartner*innen hat sie versucht, verschiedene Ansätze und Felder der Jugendsozialarbeit sowie unterschiedliche Kommunikationskanäle, die genutzt werden können, zu fokussieren. Mit dabei waren bislang Fachkräfte, die bei Mitgliedsverbänden von IN VIA tätig sind, also Freiburg, Unna, Berlin und Hamburg, aber auch Fachkräfte außerhalb des IN VIA Zusammenschlusses, wie die Off Road Kids Stiftung.

Meine Aufgabe besteht darin, eine Handreichung zu entwickeln, die Erkenntnisse aus den Interviews vorstellt und mit bisheriger Fachliteratur in Beziehung setzt, dabei Wissen verdichtet und spezifisch auf den Kontext der Jugendsozialarbeit eingeht. Die Handreichung soll Handlungsempfehlungen aus der Praxis abbilden und sich mit diesen vor allem an Neueinsteiger*innen richten, die sich inspirieren lassen wollen und gucken wollen, wo auch die Grenzen von ‚reinen‘ Onlineangeboten liegen. Daneben soll sie Einrichtungen, die ihre Beratungsangebote weiterentwickeln, Orientierungen geben, wie sie ein zu ihren Zielgruppen passenden Konzept erarbeiten können und welche Rahmenbedingungen zu schaffen sind.

FH: Also die Handreichung ist dann quasi das zentrale Produkt, das am Ende dieser aktuellen Förderperiode stehen soll?

FD: Genau.

FH: Und die Handreichung soll sich dann auch an alle Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit gleichermaßen richten und nicht z.B. speziell an Fachkräfte aus der Jugendberufshilfe, oder?

FD: Ja, an Fachkräfte der Jugendsozialarbeit und Jugendhilfe generell. Wir hatten schon sehr früh im Projekt festgestellt, dass diese Fragen, mit denen wir uns beschäftigt haben, nicht nur für den Anschluss an die Arbeitswelt relevant sind, sondern auch generell für bestimmte junge Menschen in der Gesellschaft, denen Zugänge verwehrt werden oder denen es strukturell erschwert ist, Kompetenzen in dem Bereich der Digitalisierung auszubilden. Es passiert ja auch ganz viel soziokulturell online, das muss immer mitbedacht werden.

FH: Dankeschön! Was mich jetzt noch interessieren würde: Können Sie auf der Basis Ihrer bisherigen Interviews denn schon ein paar zentrale Punkte „droppen“, die Ihnen mit Blick auf das Thema „digitale Beziehungsgestaltung“ besonders aufgefallen sind?

FD: Gerne! Zum einen ist ein struktureller Aspekt besonders aufgefallen, der auch in der Literatur und in Expertisen thematisiert wird: Einige Fachkräfte berichten, dass dieses Überregionale, das viele Onlineangebote ausmacht, leider oft nicht in gängige regional organisierte Förderlogiken passt und dass es da vielleicht eine Anpassung bräuchte.

Was in Bezug auf die Methodiken der Jugendsozialarbeit an Bedeutung gewinnen wird, denke ich, ist die aufsuchende Jugendsozialarbeit im digitalen Raum, also „Digital Streetwork“. Solche Ansätze sind nicht zuletzt wichtig, um Desinformationskampagnen, Hatespeech, Rechtsradikalismus, Gewalt im Netz etc. entgegenwirken zu können. Und gleichzeitig steht Jugendsozialarbeit aber auch immer wieder vor der Herausforderung, dass es natürlich auch Räume - und eben auch virtuelle Räume -  braucht, in denen junge Menschen sich entfalten können und in denen jetzt eben nicht unbedingt Erwachsene oder pädagogische Fachkräfte präsent sind.

Interessant fand ich, dass einige Fachkräfte in den Interviews berichten, dass die Adressat*innen durch die Onlineberatung Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, die in Präsenz-Beratungssettings vielleicht nicht unbedingt da sind. Also ein Beispiel: Ein Interviewpartner berichtete, dass die Schwelle, so eine Beratung abzubrechen, sehr niedrig ist. So kann es z.B. passieren, dass jemand plötzlich nicht mehr auf eine E-Mail antwortet. Die beratende Person muss sich entsprechend immer wieder fragen: Ist das jetzt der richtige Ansatz für diese Person? Also dadurch, dass diese Schwelle so niedrig ist, müssen die Beratenden noch viel mehr reflektieren: Passt das jetzt für die andere Seite?  Der Umstand, dass es eben immer wieder Personen gibt, die Beratungen einfach relativ schnell abbrechen, erfordert gleichzeitig auch eine hohe Frustrationstoleranz aufseiten der Beratenden und muss, je nach Thema, auch in Supervisionen oder Intervisionen aufgefangen werden.

Weiterhin ist wichtig zu bedenken, dass es für unterschiedliche Formate jeweils ein spezifisches Set an Kompetenzen und Fähigkeiten benötigt. Bei „JAdigital“ gab es ja auch diese Veranstaltung zum Thema „Digitale Beratung und Beziehungsgestaltung“. Das Video dazu habe ich mir nochmal angeschaut und da sagt die Referentin Emily Engelhardt, dass jede Beratungsform, also zum Beispiel schriftbasierte Onlineberatung oder videobasierte Onlineberatung, spezifische Kompetenzen benötigt.

FH: Vielen Dank, das sind ja schon einige sehr spannende Punkte. Können Sie auch vielleicht schon etwas dazu sagen, wo Sie zentrale Handlungsbedarfe, vielleicht auch gesetzgeberischer Art, sehen? Gibt es bestimmte Punkte, die sich mit Blick auf Verbesserungsbedarfe herauskristallisieren, etwa was die Rahmenbedingungen angeht?

FD: Ja, also zum Beispiel der Umstand, wie die Förderlogiken aufgebaut sind und dass viel mehr Ressourcen benötigt werden. Aber vielleicht auch, dass Ministerien mehr übergreifende Programme aufstellen sollten. Im Bereich Digitalisierung werden wir alle uns stetig weiterbilden müssen, einfach schon allein aufgrund des rein technischen Wandels und der gesellschaftlichen Auswirkungen. Und da ist es eben nicht damit getan, einmal ein Förderprogramm aufzulegen. Wenngleich projektbasierte Förderung selbstverständlich etwas bringt.  Denn ich glaube, Projekte haben das Potenzial, etwas Innovatives zu entwickeln, indem sie vor allem Räume zum Ausprobieren und Evaluieren bereithalten. Aber es braucht einfach auch eine nachhaltige, stetige Förderung.

Ganz konkret gibt es verschiedene Ideen, wie eine solche Förderung aussehen könnte. Beispielsweise hat der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit einen Digitalpakt Kinder und Jugendhilfe, analog zum Digitalpakt Schule, gefordert. Ich denke, es muss auch mehr Aufmerksamkeit dafür geschaffen werden, dass derzeit viele junge Menschen noch gar nicht mit den nötigen Endgeräten ausgestattet sind. Solcherlei Ungleichheiten dokumentiert zum Beispiel der Monitor „Jugendarmut in Deutschland 2022“ der BAG KJS. Junge Menschen, die von Armut betroffen sind, haben vielleicht ein Smartphone zu Hause, aber keinen PC. Daneben verfügen auch Einrichtungen der Jugendsozialarbeit nicht unbedingt über die technische Infrastruktur, um ihre Zielgruppen optimal zu begleiten.

FH: Dankeschön. Ich würde auf den Aspekt der digitalen Teilhabebenachteiligung junger Menschen gerne nochmal näher zu sprechen kommen! Eine Ihrer Fragestellungen im Projekt „Di.Ko“ lautete ja auch, welche konzeptionellen Ansätze die Jugendsozialarbeit braucht, um junge Menschen auf die digitalisierte (Arbeits-)Welt vorzubereiten. Könnten Sie diesbezüglich nochmal näher ausführen, wieso genau es aus Ihrer Sicht neue konzeptionelle Ansätze braucht, um junge Menschen auf die digitalisierte Welt allgemein, aber auch die digitalisierte Arbeitswelt im Speziellen vorzubereiten und was die Teilhabebenachteiligung junger Menschen an dieser Schnittstelle ausmacht?

FD: Vielleicht fange ich mal damit an, was diese Schnittstelle oder die Teilhabebenachteiligung in diesem Bereich besonders macht: Die Jugendberufshilfe richtet sich an Personen, denen es strukturell erschwert ist, am Arbeitsleben teilzuhaben. Und ich denke, dass dieser Übergang in Schule, Beruf, Schule, Ausbildung natürlich auch in gewissem Maße risikobehaftet ist, in dem Sinne, dass manche Personen den Übergang nicht schaffen. Hierfür gibt es vielerlei Gründe. Und an dieser Stelle braucht es nicht nur im Allgemeinen, sondern auch in Bezug auf die Digitalisierung eine individuelle, auf Bedarfe abgestimmte, Begleitung, wie sie von unterschiedlichen Akteur*innen im Feld der Jugendberufshilfe bereits gefordert wird. Jungen Menschen, denen Endgeräte fehlen oder die von bildungsspezifischer Benachteiligung und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, fehlt oftmals das Setting, um sich die nötigen Kompetenzen anzueignen, um diesen Übergang in eine zunehmend digitalisierte Arbeitswelt zu bewerkstelligen.

Und gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung möglicherweise auch Personen, die eventuell nicht die besten Erfahrungen in formalen Bildungssettings gemacht haben, neue Möglichkeiten. Zum Beispiel, sich eher spielerisch Wissen anzueignen, über Serious Games oder über Makerspaces, in denen Technik ausprobiert und positive Erfahrungen gemacht werden können.

Also es sind zwei Ebenen: Einerseits besteht das Risiko, dass sich im Zuge der Digitalisierung Ungleichheiten verschärfen, aber andererseits kann die Digitalisierung vielleicht auch dabei helfen, dass Personen eine Affinität zum Lernen entwickeln.

Und zu der Frage, warum es jetzt konzeptionell neue Ansätze in der Jugendsozialarbeit braucht: Ich würde sagen, es ist eher ein neues Denken, was die digitale Transformation mit sich bringt. Es sollte immer wieder geprüft werden: Was braucht es eigentlich? Was gibt es eigentlich jetzt, also zum Beispiel an technologischen Möglichkeiten, die vorher vielleicht gar nicht denkbar waren? Und was heißt das jetzt wiederum für unsere Ansätze, unsere Begegnungsräume und das Selbstverständnis der Fachkräfte? Es ist ein nicht abschließbarer Prozess, sich mit diesen Thematiken auseinanderzusetzen.

FH: Vielen Dank! Und inwiefern würden Sie sagen, kann Ihr Projekt selbst einen Beitrag zum Abbau von Benachteiligungen junger Menschen hinsichtlich ihrer digitalen Teilhabe leisten?

FD: Zum Beispiel indem Fachkräfte darin gestärkt werden, ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln und auszubauen oder auch dadurch, dass Einrichtungen mehr Orientierung bekommen durch unsere Publikationen dazu, wie Digitalisierungsprozesse voranzubringen sind sowie über neue Vernetzungsmöglichkeiten, die wir eröffnen. Und dadurch, dass wir auch Eckpunkte dazu entwickeln oder festschreiben, wie politische Entwicklungen oder Entscheidungsprozesse gestaltet werden sollten.

FH: Dankeschön! Ich hätte noch eine „übergreifende“ Frage: Was sind denn aus Ihrer Sicht – auf Basis der Erkenntnisse aus Ihrem Projekt, aber gerne auch darüber hinaus – Kernelemente gelungener, innovativer und vor allem auch den Adressat*innen gerecht werdender digitaler Angebote in der Jugendsozialarbeit?

FD: Also wir müssen auf jeden Fall so niedrigschwellig wie möglich sein, das ist die Basis. Und da ist natürlich eine Herausforderung, dass Angebote, die im digitalen Raum stattfinden sollen, immer auch datenschutzsicher sein müssen und das führt oft zu einer Hochschwelligkeit. Außerdem muss ein digitales Angebot inklusiv sein und es muss versucht werden, die Barrieren von Nutzer*innen zu identifizieren und abzubauen. Und da, denke ich, muss auch die Perspektive der Zielgruppe eingenommen werden und am besten muss eigentlich die Zielgruppe selbst mit einbezogen werden. Ich würde mir mehr Angebote wünschen, bei denen Zielgruppen – also die jungen Menschen – von Beginn an, auch zum Beispiel bei der Antragsstellung zum Projekt, mit einbezogen werden, um deren Expertise mit zu berücksichtigen.

Außerdem ist es wichtig, vernetzt zu arbeiten, Kooperationen einzugehen und am besten multiprofessionelle Teams zu bilden. Im Netzwerk der BAG KJS gibt es beispielsweise seit Herbst 2020 eine Kooperation zwischen der TH Köln, dem Kolpingwerk Deutschland und der IN VIA Akademie. Über einen Zeitraum von zwei Semestern erarbeiten Studierende gemeinsam mit Fachkräften der Jugendsozialarbeit Digitalisierungsansätze für die jeweilige Einrichtung und setzen diese um. Von diesem Ansatz profitieren sowohl Studierende, indem sie die Handlungsfelder der Jugendsozialarbeit kennenlernen und Praxiserfahrungen sammeln, als auch Einrichtungen, indem sie Impulse von ‚außen‘ erhalten und aktuelle, wissenschaftlich gestützte, digitale Herangehensweisen kennenlernen.

Daneben wäre es gut, wenn die Mittel dazu da wären, in Einrichtungen Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sich mit Technik befasst werden kann und mehr Sachen auch mal ausprobiert werden können, eben experimentiert werden kann. Das ist ja nicht nur für die jungen Menschen interessant, sondern auch für Fachkräfte selbst, um zum Beispiel Unsicherheiten abzubauen und Erfolgserlebnisse mit Technik zu erfahren.

Bei unseren Gesprächen mit Fachkräften oder auch in unserer Umfrage kam oft zur Sprache, dass es sehr oft an einzelnen engagierten Personen hängt, im Team Digitalisierungsprozesse voranzutreiben. Und das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Ressource für Einrichtungen. Daher gilt es, das Engagement von diesen Einzelpersonen anzuerkennen und vielleicht auch zu gucken, wer in den jeweiligen Organisationen Digitalisierungsvorhaben vorantreiben möchte. Wichtig wäre dann weiterhin, diesen Personen auch die Räume zu geben, damit sie ein bisschen freier ausprobieren und evaluieren können, welche Angebote passen könnten. Und gleichzeitig wäre es wirklich wichtig, dass es nicht nur auf den Schultern dieser einzelnen Leute lastet, Einrichtungen in dieser Hinsicht fitter zu machen oder da was zu entwickeln- weil Digitalisierung natürlich eine Gemeinschaftsaufgabe ist.

FH: Vielen Dank für Ihre Einschätzung! Eine letzte Frage noch zum Abschluss: Werden sie nach Ende der Projektlaufzeit noch weiter an der Digitalisierungs-Thematik arbeiten und besteht die Aussicht, dass Ihr Projekt noch ein weiteres Mal verlängert wird und/oder Teile daraus verstetigt werden?

FD: Also das Projekt „Di.Ko“ wird im Juli 2024 enden. Aber IN VIA arbeitet selbstverständlich auch nach Projektende an dem Thema weiter und wird die Erkenntnisse des Projekts weiterverbreiten.

FH: Liebe Frau Duarte Dos Santos, ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben! Und ich wünsche Ihnen für die weitere Laufzeit des Projekts „Di.Ko“ sowie für Ihre weitere Arbeit generell alles Gute!

FD: Vielen Dank für Ihr Interesse und den Austausch! Ihnen auch alles Gute!

 

Weitere Informationen zum Projekt „Di.Ko. Digitale Konzepte in der Jugendsozialarbeit“ finden Sie hier!

Hier gelangen Sie zur Übersicht über alle bisherigen Interviews und Vorträge im Rahmen des Projekts "JAdigital. Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe konzeptionell gestalten".

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